Die Fragestellung in der Überschrift impliziert ja schon so einen schirrmacherischen Kulturpessimusmus, den ich aber bestimmt nicht bedienen will. Die Sache verhält sich ja so, das man daran freiwillig teilnehmen kann und auch das Wie ist beileibe nicht vorgegeben, sondern, und das ist das Schöne daran, eigentlich recht selbstbestimmt. Mir deucht diese Ängste kommen meist von solchen Naturen, die sich mit der Sache entweder nicht auseinander gesetzt haben, oder daraus es nicht richtig hinzukriegen, während vermutet wird, das der Rest der Menschheit gerade großen Spaß hat. Es zwingt einen ja niemand zu twittern oder einen Facebokaccount zu eröffnen und dort Kommunikation zu betreiben, ebenso könnte man vom Zeitfresser Telefon oder der Fremdbestimmung durch Sendezeiten in den traditionellen Medien wie TV und Radio reden, tut man da aber komischerweise weniger. Dabei empfinde ich den Vorteil von Web 2.0 gerade darin, das ich selbst bestimmen kann wann und wieviel Informationen ich auf mich einprasseln lassen will und ebenso wieviel ich von mir nach draußen kommuniziere.

Mit solchen Socialmedia Angeboten verhält es sich doch wie mit Wasser, man kann darin baden, man kann mal kurz den Kopf reinhalten oder man kann auch nach Bedarf aus der Quelle schlürfen und, ok ok, bei nicht sachgemäßer Anwendung besteht auch durchaus die Gefahr für Anfänger und Leute ohne sonstiges Leben temporär darin zu ersaufen. Es gibt allerdings auch noch die Möglichkeit die Kanäle zu bündeln oder zu selektieren, indem man uninteressantes verbirgt oder Gruppen bildet, in denen man die für einen selbst relevanten Poster sammelt und so das weiße Rauschen und Redundanzen weitgehend einschränkt
Dieses Web 2.0 ist doch eigentlich nur die logische und komfortablere Weiterführung von Email, Blogs und RSS-Feeds mit moderneren und zumindest im Frontend einfacheren Mitteln. Vielleicht kommt aber genau daher das Aufstöhnen, nämlich von Leuten, für die das Internet vor Web 2.0 nur aus Webseiten und Emails bestand und die nun erstmals mit einer Informationsflut konfrontiert sind, die es ja auch schon vorher im IRC, in Newsgroups, Foren etc. gab, nur haben sie das alles gar nicht mitbekommen und nun, da die Schwelle niedriger liegt, sind sie von der Menge einfach überfordert und meinen das müßte anderen ähnlich gehen. Das kann natürlich auch in der irrigen Annnahme begründet sein, das man das tatsächlich alles erfassen müßte, was da so an reissenden Informationsströmen flutet, was natürlich Quatsch ist, denn die erste Lektion sollte eigentlich sein, das kein noch so aufgepumptes Hirn je alles aufnehmen, geschweige denn verarbeiten könnte, was da täglich gepostet wird, abgesehen mal davon, das 95% einfach nur weißes Rauschen sind, das jeglicher Relevanz für die eigenen Interessen entbehrt.
Leider gibt es halt noch immer nicht den passenden Filter und ich bezweifle gar, das es den jemals geben wird, aber dafür dem Web 2.0 die Schuld in die Schuhe zu schieben verhielte sich ähnlich, als würde man Zeitungen verdammen, weil da auch mindestens ein Teil für einen völlig uninteressant ist.
In dieser einseitigen Betrachtung als ferngesteuertes Zeitfressen vergisst man allzu leicht wie schnell man heute an Informationen gelangt, derer man noch vor ein paar Jahren nur sehr mühevoll oder gar nicht habhaft werden konnte, ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als man für einen Festplattentreiber mit einer Diskette zum Händler fahren mußte oder auch diese ganzen Tutorials und Produktinformationen waren mal, wenn überhaupt nur schwerlich, für viel Geld und bei weitem nicht so komfortabel zu bekommen, wie das heute möglich ist. Selbiges gilt natürlich auch für geschmacksbildende Maßnahmen wie Mixe, Literatur, Kunst und was weiß ich noch alles zu finden. Natürlich frisst das bei entsprechender Beschäftigung auch Zeit, aber wenn man das damit vergleicht, was man dafür früher hätte investieren müssen, relativiert sich das doch beträchtlich. All das war früher einmal die primäre Lebensberechtigung des Printsektors und von daher wundert es nicht, das ein Großteil dieser Verzweiflungsschreie auch aus diesem Bereich kommen, der bekanntermaßen nicht zuletzt wegen solcher Faktoren in der Sinnkrise steckt, nicht nur weil man heute zunehmend weniger Printprodukte verkauft, weil wer hat schon Lust morgens nochmal gedruckt die Infos zu lesen, die man am Vortag bereits im Internet gelesen hatte, sondern – und damit haben auch ganz andere ihre Probleme- auch weil die selbstverständlich geglaubte Deutungshoheit zunehmend schwindet, da sich die Meinungsbildung nicht mehr von oben nach unten gestaltet, sondern flach ausbreitet, oder auch- tödlich für Autorität- von unten nach oben, wie das Wikileaksvideo von letzter Woche wieder einmal eindruckvoll gezeigt hat. Früher wäre das ein Coup für die traditionellen Medien gewesen, heute müssen diese auf etwas reagieren und sich gleichzeitig des Versagens wegen Bräsigkeit erwehren.
Dabei sehe ich diese Entwicklung eigentlich immer noch sehr am Anfang, momentan ändern sich ja schon die Gerätschaften mit denen wir auf die Informationen zugreifen und werden immer mobiler, die Programme und Services über die wir kommunizieren erweitern und verändern sich auch in immer schnelleren Zyklen und derjenige der es mal schaffen wird all diese Ströme so zusammenzuführen, das Redundanzen ausbleiben und trotzdem alles übersichtlich bleibt wird wahrscheinlich als der Successor des Web 2.0 in die Analen eingehen – bis mit dem Web 3.0 wieder alles anders wird.




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