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> wenn die nacht es gut mit mir meint
MarlaSinger
Beitrag 10 Jan 2006, 11:18
Beitrag #1


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ich habe einen schönen text zum thema eletronische musik, parties und alles was dazugehört, den ich immer wieder mal gerne lese. den will ich euch am TB natürlich nicht vorenthalten!

viel spass beim lesen!

ZITAT
Wenn die Nacht es gut mit mir meint

Ein narzisstischer Pakt auf Zeit: Die Lust des Ravers.


Von Tobi Müller

Lärm, Kokain, Extremsport und Esoterik sind üble Dinge und zu meiden. Ich bin jetzt 32, und da darf man langsam Grundsätze haben. Aber: Ich rave gern. Allen Warnungen und Widersprüchen zum Trotz. Denn beim Raven ist die «Sucht» gleichzeitig ihre Therapie: Nach einem selbstzerstörerischen Tanzwochenende nehme ich die Dinge gelassener. Und es kommt mir nicht in den Sinn, eine Woche später dasselbe von vorne durchzuspielen.

Raven heisst auch durchdrehen (engl. to rave). Man kann jetzt einwenden, darum gehe es beim Tanzen immer mal wieder. Ende der Achtziger waren es in England aber derart viele auf einmal, die in leeren Fabrikhallen Ecstasy einwarfen und endlos tanzten, dass dieses extragrosse Wort «rave» hier wirklich am Platz war.
Für mich heisst «raven» mittlerweile: in überschaubaren Locations zu Techno oder House tanzen, etwas Drogen und am besten zwei Tage frei nehmen. So alle zwei, drei Monate einmal. Und dann heisst raven am Ende doch wieder: Extremsport, Esoterik, Lärm. Ohne die Dauer (Sport) und den so klaren wie raren Gehirntau am andern Morgen (Esoterik) ist der Rave nicht zu haben. Alles andere muss unter Lounge oder Bar klassifiziert werden.

Beim Rave verwünsche ich all dies: dekorativ in teuren Inneneinrichtungen rumstehen, an angesagten Tresen wettsaufen oder Teil eines interaktiven Kunstwerks sein. Wenn es die Nacht gut mit mir meint, sagt sie nicht: «Sei ein Kunstwerk, triff Kunden auf dem Dancefloor, gib möglichst viel Geld aus in einem Club, wo du fast nicht reinkommst.»

Die geglückte Party stoppt den alltäglichen Zyklus von Arbeit, Produkt und Verwertung für eine lange Nacht. Keine Angst, die Revolution wird im Club nicht stattfinden. Rave ist seinem Wesen nach affirmativ. Das allerdings bis zum Exzess, bis zu jenem Umschlagpunkt, wo Leistung - tanzen, tanzen, Lärm ertragen, Blicke werfen, tanzen - in jene Erschöpfung mündet, die sich der Leistung verweigert. Und auch der Sprache: Mehr als «deep», «kosmisch» oder «total geil» weiss der Raver in der Regel kaum zu berichten. Die Platitude ist Programm, sie beschützt sein Erlebnis vor den rationalen Argumenten der Ungläubigen. Do you see the light, can you feel the love?

Doch der Raver kommt nie dazu, an Haustüren zu klingeln und Pamphlete mit Titeln wie «Die DJ-Kanzel» oder «Der Boxenturm» zu verkaufen. Dazu ist er vielleicht zu sehr Zeuge seiner selbst. Rave ist ein narzisstischer Pakt auf Zeit. Es fehlt ihm deshalb alles Missionarische.

Vor Jahren kehrten wir von einem «deepen», am Morgen endlich «total geilen» Freiluftrave in die sonntägliche Wohngemeinschaft zurück. In der Küche klang die schlecht geschmierte Tür des Geschirrspülers wie die Musik des deutschen DJ Sven Väth. Sofort weitertanzen! Das eben aufgestandene Paar hörte die Musik natürlich nicht, sah aber unser leichtes Lächeln und die höchst spärlichen Bewegungen, die eher an eine Seniorenwandergruppe erinnerten: die Arme angewinkelt und vorsichtig schlenkernd, die Füsse Zentimeter um Zentimeter voreinander herschiebend. Einer musste jeweils die Tür bedienen. Auf die wachen Einwände - bescheuert, ungesund, diese grossen Augen, diese weichgespülte Haut, affig all das - erwiderten wir nicht viel. Der Widerspruch wurde sanft getanzt.

Weil ich kein Technojünger der ersten Stunde bin und mich diese «Jugendbewegung» erst mit 25 so richtig zu interessieren begann, geriet ich nie in Gefahr, die Party in den Alltag zu transferieren. Techno war für mich deshalb nie ein Lifestyle. Raven sollte eine Feier sein, ein Zeremoniell.
Wenn die Grenze zum Alltag so klar markiert wird, bezeichnet sie einen Rahmen, eine Ordnung, die den Exzess nicht exzessiv werden lässt. Am klarsten tritt dies bei der Initiation zutage. Die ersten Raves wurden mir noch fürsorglich erklärt, bei der ersten Ecstasy-Pille wurde ich von Freunden begleitet. Man brachte ständig Wasser, fragte alle zehn Minuten nach meinem Befinden und sorgte dafür, dass ich bei all der Tanzerei die Ruhezeiten nicht vergass. Ich war umgeben von Paten, die meine Passage in eine andere Welt überwachten.

Die samtpfotige Vorsicht hatte gute Gründe. Keine Rites de Passage ohne Gefahr: Überdosierungen, andere Drogen, Sucht eben. Das alte Spiel. Und klar geht es auch ohne, dann geht man halt einfach ein paar Stunden früher ins Bett.
Tanzen kann ich auch in der Stube zu Hause, wo nicht ausschliesslich Techno läuft. Nach einem Nachtessen mit Freunden, statt einen Schnaps zu trinken, ein wenig um den Tisch zu tanzen, ist ausgesprochen verdauungsfördernd. Oder den Schreibstau tagsüber mit ein paar Smashern zu durchbrechen - hat alles schon geholfen. Sogar auf Premierenfeiern im Theater, die leider oft sehr mittelmässig beschallt werden, können Schrittfolgen vorkommen - nur exaltiertere als sonst. Doch ein guter Techno- oder House-DJ schafft etwas, das mit Rock, Hip-Hop oder auch dem grassierenden, meist fröhlichen Elektropop nicht erreicht werden kann: die Langstrecke.

Der Höhepunkt muss nicht - wie im Song - bereits im Refrain auftreten, eine Basslinie kann die Beine minutenlang sticheln und stundenlang durchbluten, während der Oberkörper dem Freischwimmen frönt. Alles geht. Weil mich vor Techno vor allem Rock und afroamerikanische Musik (Jazz, Soul, Funk) geprägt haben, nehme ich noch heute den Bass als fundamental bluesige Einheit wahr. Bei House und Disco sind die Traditionslinien evident, aber selbst im abstrakteren Techno höre und tanze ich die Basics als Funk- oder Rockversatzstücke. Erstaunlich kann das kaum sein, denn der Paradigmenwechsel, den Techno ausgelöst hat, veränderte weder die Harmonie noch den Rhythmus populärer Musik. Vierviertel regiert nach wie vor die Welt, und die oft nur suggerierte Reibung von Moll an Dur presst unnachgiebig Hormone frei. Doch Techno brachte eine andere Triebökonomie ins Spiel.

Sex ist auch im Techno wichtig. Aber die Zeiten des glücklich verstrahlten, reinen Kuschelinfernos sind zum Glück vorbei. Es herrscht Reduktion. Nicht sofort ans Mieder, Raum lassen für Spiele, Tanzen als langes, retardierendes Moment. Die auftretenden Schreie gegen den Morgen bezeichnen somit nicht den Höhepunkt als solchen, sondern die Freude, dass man es gerade geschafft hat, den Höhepunkt schon wieder zu verschieben. Weil es jetzt weitergeht. Und weiter, «deeper». Slow Love. Die Musik spiegelt das Verhalten auf dem Floor. Weil Techno nicht primär, nicht auf kürzestem Weg jedenfalls, den Schwanz packt, werden die Geschlechterrollen etwas aufgeweicht. Ein guter Indikator für die Qualität einer Party ist der Rempeleifaktor. Berühren ist kein Problem, doch stossen und sich den Weg durch die Menge schlagen ist extrem uncool. Gängige Stosstrupps von Heterojungs können eine kleine Party rasch verändern. Selbst mit Heterosexualität ausgestattet, habe ich erst im Club gelernt, ausserhalb von Fussballfeldern mit Männern kleine Spiele zu treiben, die man erotisch nennen mag. Bis jetzt absolut folgenlos, zugegeben. Darum geht's auch nicht.

Beim Rave bin ich, ein männlicher Schreibtischkopf, stundenlang ganz Körper. In dieser Zeit nehme ich ein paar Prägungen (Geschlecht, Geld, Leistung) etwas weniger ernst und performe so etwas, das nicht nur der Reproduktion des Ewiggleichen dient. Das relativiert so einiges und ist damit auch politisch. Und wenn man Glück hat, springt dieser Genuss vom eigenen Nabel in den ganzen Raum. Das schafft, altmodisch gesagt, Gemeinschaft.

Tobi Müller, Journalist, lebt in Zürich.
Foto: Monika Estermann, Zürich.


Quelle: NZZ Folio, Heft "Tanzfieber", Ausgabe 7/02
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B.
Beitrag 16 Jan 2006, 12:09
Beitrag #2


der seltene gast
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ZITAT
1. Weil ich kein Technojünger der ersten Stunde bin und mich diese «Jugendbewegung» erst mit 25 so richtig zu interessieren begann, geriet ich nie in Gefahr, die Party in den Alltag zu transferieren.

2. Techno war für mich deshalb nie ein Lifestyle.

3. Raven sollte eine Feier sein, ein Zeremoniell. Wenn die Grenze zum Alltag so klar markiert wird, bezeichnet sie einen Rahmen, eine Ordnung, die den Exzess nicht exzessiv werden lässt.

Bißchen ambivalent ...

ad 1. ja, die Party im Alltag, definitiv nicht. Da die Party, dort das normale Leben.

ad 2. nein, jein, nein, Wissen aneignen, Hintergründe erforschen, Musik sammeln ... fand alles abseits der Party statt, insofern schon irgendwie ein Lifestyle.

ad 3. ja, definitiv richtig. So bleibt's was besonderes und verkommt nicht zum gewöhnlichen wöchentlichen Saufgelage unter dem coolen Party-Deckmäntelchen.

btw. netter Text. Kurzweilig zu lesen.
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