Guter Artikel aus der De:Bug.
Autor: Sascha Kösch
House ohne Disco-NostalgieZITAT
Manchmal denkt man im erweiterten Minimal-Universum – das nur wenig mit dem zu tun hat, was die meisten unter Minimal verstehen, sondern eher wie ein Sog wirkt, der Genres durcheinander bringt, Nähe und Entfernung herstellt zwischen Dingen, die eigentlich wenig miteinander zu tun haben –, ist alles nur eine Frage der Feineinstellung. Kontinuitäten statt Brüche. Querverbindungen statt Häufchen, Szenen, Genres, sozialer Netzwerke. Aber genau wie soziale Netzwerke im Netz örtliche Zusammenhänge zwar auflösen können, aber immer noch oft genug auf ihnen aufbauen, stellt man immer wieder banal fest: House kommt aus dem Norden (so wie man sagen kann: Detroit kommt aus Glasgow). Viel davon. Aber eben als Fluchtlinie, Durchreise.
Till von Sein kommt aus dem Norden. Rendsburg, Flensburg, Neumünster, Kiel. Ein Kind der A7. Kein Wunder, dass seine erste Platte, auf Trenton, damals noch zusammen mit Aera (dessen Bruder Drum and Bass auf Basswerk releast), “Angel Of The A7″ hieß. Mittlerweile umgesiedelt nach Berlin, wo er für die langjährige Freundin Claudia Marquardt bei Cliquebookings arbeitet und als Producer auf eigenen Füßen steht, bringen seine letzten beiden Releases für Morris Audio neue House-Hoffnung nach Berlin.
HipHop ist drin
Dabei ist Till von Sein eigentlich ein “klassisches HipHop-Kid”. Skater. Rapper. Aber die 90er haben schon ganz andere durcheinander gebracht. Irgendwann hat ihn das Ninja-Tunes- und Mo-Wax-Fieber gepackt und der DJ seiner Band spielte dann auch noch Jungle und New York House. Finn Johannsen legte mit seinen Partys in Kiel noch eins drauf, und irgendwann kamen dann noch Super Discount und Motorbass dazu. Und obwohl er immer noch mehr HipHop als alles andere hört, sind seine Produktionen mittlerweile von einem so deepen Housesound geprägt, dass man ihm mit jedem Track abnimmt, dass er Techno immer links liegen lassen konnte.
Legt man z.B. seinen Track dem Efdemin-Remix auf seiner “Gestern”-EP gegenüber, werden die Einflüsse schnell klarer. Till von Seins House beruht in seiner Deepness auf Samples, während der Dial-Sound zum Beispiel von Melodien ausgeht. Das eine ein flüchtiger Zusammenhang von Sounds, die zusammengedacht werden müssen, das andere ein “organischer” Lernprozess. Dabei geht es weniger um Intuition vs. Institution, sondern um andere Zusammenhänge. Till von Seins Tracks federn eher auf dem Material. Die Melodien entwickeln sich aus dem Zusammenspiel der Sounds, haben in ihrer Tiefe eine Leichtigkeit, die den Tracks weniger das Gefühl eines Arrangements gibt als das eines Puzzles, das so zusammengeschweißt wurde, dass man die Einzelteile hinterher einfach nicht mehr auseinander denken kann.
Die Krone
Und genau hier könnte House die Krone der Dancefloordominanz wieder von Minimal übernehmen, wenn auf einmal klar wird, das House der Ort ist, an dem sich Sounds treffen, um zusammenzukommen und zu bleiben, und, anders als bei den meisten anderen Genres, die zur Zeit so als Anti-Minimal in Stellung gebracht werden, hier nicht die Differenz zu anderen gefeiert wird (das ist die Oldschool-Popmaschinierie), sondern die Differenz in sich selbst. Dafür müsste man House erst mal das Beharren auf die Oldschool-Disco austreiben, aber genau das geht mit Till von Sein Tracks und ein paar wenigen anderen zur Zeit besser denn je.